Geschichte der deutschen Wiedervereinigung by Andreas Rödder

Geschichte der deutschen Wiedervereinigung by Andreas Rödder

Autor:Andreas Rödder [Rödder, Andreas]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
ISBN: 9783406622342
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2012-04-10T14:00:31+00:00


IV. Wiedervereinigung und Weltpolitik

Im November 1989 war eine baldige Wiedervereinigung Deutschlands allseits für höchst unwahrscheinlich gehalten, von der Sowjetunion strikt abgelehnt und auch in Westeuropa überwiegend nicht gewünscht worden. Gut zwei Monate später wurde eine Wiedervereinigung, auch ihre schnelle Herbeiführung, allseits anerkannt. Was in der Rückschau wie ein Selbstläufer erscheinen mag, war es zeitgenössisch gesehen freilich keineswegs – im Gegenteil: diese Entwicklung zählt zu den vielen unerwarteten Wendungen der deutschen Revolution.

Möglich wurde sie durch eine spezifische Konstellation: Erstens zeichnete sich mehr und mehr ab, dass die Ostdeutschen ihr Selbstbestimmungsrecht zugunsten einer deutschen Wiedervereinigung ausüben wollten. Daraus folgte freilich kein Automatismus, vielmehr konnte das Selbstbestimmungsrecht seine Grenze finden, wenn andere Staaten massive eigene Sicherheitsinteressen dagegen geltend machten. Dass dies nicht geschah, lag zweitens an der Konfusion in der sowjetischen Führung und drittens an der mangelnden Abstimmung zwischen den potentiellen Veto-Spielern, während Washington, viertens, die Politik der Bonner Regierung unterstützte, die fünftens an ihrer Vereinigungspolitik festhielt und dabei das internationale Gewicht der Bundesrepublik zur Geltung brachte. Hinzu kam schließlich die Entwicklung in der DDR: Drohender innerer Kollaps und Massenflucht schufen politischen Handlungsbedarf und gaben der Bundesregierung zugleich schlagende Argumente für ihr schnelles Handeln an die Hand.

Das Tempo des Prozesses wurde immer höher, zusätzlich angetrieben durch die wachsende Sorge vor der Entwicklung in der Sowjetunion, konkret: vor einem Machtverlust Gorbatschows, der das Fenster der Gelegenheit wieder zugeschlagen hätte. Kohl verglich die Situation mit der eines Bauern, «der vorsorglich, weil möglicherweise ein Gewitter droht, die Heuernte einbringen möchte». Hatte er noch zum Zeitpunkt des Zehn-Punkte-Programms einen Zeithorizont von fünf bis zehn Jahren veranschlagt, so kristallisierte sich spätestens im Mai 1990 heraus, dass die staatliche Einheit noch im selben Jahr hergestellt werden könnte.

Dazu war eine Fülle von Entscheidungen zu treffen, mit denen – 45 Jahre nach 1945 – die Nachkriegszeit beschlossen wurde und die zugleich die künftige Ordnung Europas bestimmten. Auf internationaler Ebene stellten sich drei grundlegende Probleme: die Bündniszugehörigkeit eines vereinten Deutschland als der «Kern der Deutschlandfrage» (Valentin Falin), einschließlich der Frage, ob Gorbatschow die deutsche Einheit verkauft (oder gar verschenkt) habe; des Weiteren eine Frage, um die bitterer internationaler Streit entbrannte, obgleich sie in der Sache gar nicht strittig war: die deutsch-polnische Grenzfrage; und schließlich die europäische Einbindung der deutschen Einheit mitsamt der Frage, ob Bonn die D-Mark für die Wiedervereinigung geopfert habe.



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